Beeinflussung der Signale von Navigationssatelliten durch Mehrwegeempfang

Zuletzt geändert am 21.11.2023

Mehrwege-Empfang bei Geräten der Satelliten-Navigation

(engl.: Multipath reception) führt stets zu Beeinträchtigungen. Die Empfangs-Module einfacher GPS/GNSS-Logger und GPS/GNSS-Empfänger verfügen kaum über Maßnahmen um durch Umweg-Beiträge verfälschte Satelliten-Signale oder gar die Umweg-Beiträge selbst zu eliminieren, sodass sie darauf besonders empfindlich reagieren, indem so auch mit Fehlern behaftete interne Teilergebnisse mit in die aufgezeichnete Log-Datei eingehen oder in ein vom Empfänger mit Positionsdaten versorgtes Auswertegerät übernommen werden. Oft beziffern die hier üblichen NMEA-Sequenzen zwar Qualitätsmerkmale der einzelnen beteiligten Satellitensignale – in Gestalt des Signal/Noise Ratio, in das auch Mehrwege-Einflüsse eingehen können (neben den allein aus der jeweiligen momentanen Satellitengeometrie abgeleiteten Fehlerbewertungsfaktoren PDOP, VDOP, HDOP) –. Eine Einflussnahme auf die Positions-Genauigkeit ermöglichen sie mangels Verfügbarkeit / Einbeziehung weiterer Rohdaten jedoch nicht. (Anders bei mit ähnlichen Empfangs-Modulen ausgestatteten, aber etwas komplexeren Geräten wie Navigationsgeräte oder Smartphones, die über in vielen Situationen wirksame zusätzliche terrestrische Orientierungshilfen verfügen).

In das Ausmaß der Positions-Abweichungen gehen sowohl

  • die Art und Größe der Veränderungen der Satellitensignale abhängig von den beteiligten Umwegen – Einfluss des Umfeldes der jeweiligen Position des GPS/GNSS-Geräts –

ein als auch

  • die Art, in der der Logger / Empfänger auf diese Veränderungen reagiert – Abhängigkeit von der Auslegung von Antenne und Modul bzw. Chipsatz.

Bei "Art und Größe der Veränderungen" handelt es sich jeweils um

  • die Beträge der Verzögerungen / Laufzeitunterschiede (Δ t, τ) der Signalbeiträge und
  • deren Pegelunterschiede (Δ p, oft auch angegeben als Dämpfungen a‍ ‍b) gegenüber dem LOS-Signal (LOS engl.: Line Of Sight – direktes Signal),
  • und – unter anderem –

  • die Lage der Momentanfrequenzen der Signalbeiträge (Doppler-Effekt),

zu Verzögerungen und Dämpfungen

Maßgeblich ist hier die Beschaffenheit der Signale, die die Empfangsantenne an den Antennenanschluss des Empfangs-Teils liefert – es gehen sowohl die geometrischen Gegebenheiten der Umgebung der Antenne als auch (im Zusammenhang mit der /komplexen/ Richtcharakteristik der Antenne) die Ausrichtung der Antenne ein. Außer den für die Positionsbestimmung benötigten direkt vom Satelliten empfangenen (LOS-)Signalen wird die Empfangsantenne fast immer auch von NLOS-Signalen (NLOS – Non LOS; Signalwege abseits der Sichtlinie) getroffen, die dorthin über Objekte der Umgebung des Empfängers, auf Umwegen, somit gegenüber dem Originalsignal verzögert (Echo-Signale), gelangen. Infolge der Abschattung durch in der Sichtlinie zwischen Satellit und Empfangsantenne befindliche Objekte können dabei die LOS-Signale einzelner Satelliten sogar bis zu ihrem Ausfall abgeschwächt sein. Als Folge der Überlagerung unterschiedlich verzögerter Signalbeiträge am Empfänger-Eingang kommt es zu spektralen Veranderungen des Empfänger-Eingangssignals in Gestalt abgesenkter, auch angehobener, Frequenzabschnitte – im Fall von zwei beteiligten Beiträgen umso stärker ausgeprägt, je geringer deren Pegelunterschied und umso breitbandiger, je kleiner dabei ihr Laufzeit-Unterschied ist.

zu Lage der Momentanfrequenzen der Signalbeiträge (Doppler-Effekt)

Oft befinden sich Objekte der Umgebung und noch öfter das mobile GPS-/GNSS-Gerät wie z. B. der GPS-/GNSS-Logger und nicht zuletzt – prinzipbedingt ständig – die Satelliten in Bewegung mit der Folge von Laufzeitänderungen.

Im Ergebnis resultieren diese mit den Änderungen der Geometrie verbundenen Änderungen der zugehörigen Umwege aufgrund der sich aus dem Doppler-Effekt ergebenden Frequenzverlagerungen in unterschiedlichen Momentanfrequenzen dieser Anteile. Bekanntlich ist dabei

der Wert fD der Frequenzverlagerung, gemessen in Hertz,

gleich dem Negativen der

Änderung Δd des zwischen Sender und Empfänger durchlaufenen

Weges d , angegeben in

Wellenlängen λ, je Sekunde.

Daraus folgt als allgemeine Beziehung für die Frequenzänderung:

    fD [Hz]  =  - Δd [LE/s] / λ [LE]  

LE ist die jeweils verwendete, beliebige Längen-Einheit Anm1)

Im Fall der Frequenzänderung eines reflektierten Signalbeitrags ist das

die Änderung Δd der Länge des Umwegs.

Die resultiert aus Positionsänderungen
  1. wiederum des Satelliten, überall und zu jeder Zeit,
  2. des Reflektors,
    2.1 fest: z. B. Gebäude, Gelände,
    2.2 veränderlich: z. B. Fahrzeuge,
  3. des Empfängers.

Besonders interessant ist hier der Beitrag des Empfängers im Fall des Betriebs in einem Fahrzeug. Mit der Fahrgeschwindigkeit nehmen die Beträge der Frequenzablagen fD der Umwegsignale gegenüber dem direkten Signalbeitrag zu; umso mehr, je weniger die Einfallsrichtung des Umwegsignals von der des Fahrtwegs abweicht (α; cos α). Bei erfolgreicher Frequenznachführung des Empfangsteils auf die Frequenz eines (dazu idealer Weise dominierenden direkten) Satellitensignals tragen die Umwegsignale zunehmend lediglich als Verschlechterung des Signal/Rauschabstands wirkende Spontanwerte zur ermittelten Signallaufzeit bei. So etwa ist wohl die Beobachtung zu erklären, dass der Verlauf der aufgezeichneten Strecke (auch ohne die oft eingesetzten Maßnahmen zur Glättung) bei Fahrten mit höheren Geschwindigkeiten stabiler wirkt.

Untersuchungen zu den
Veränderungen der Satellitensignale infolge der Umwege

Lange Zeit war man bei der Bewertung dieser Veränderungen der Signale allein auf das Anwenden der Wellen- sowie geometrischen Optik in Verbindung mit Erkenntnissen aus Fachgebieten wie z. B. Radartechnik, Geofernerkundung angewiesen. Dem liegt zugrunde, dass diese Erkenntnisse für viele Situationen Anm2) unabhängig von der Wellenlänge relevant sind, sie also sowohl für Licht- als auch für Funkwellen gelten – bei an die jeweilige Wellenlänge angepasstem Größenmaßstab der beteiligten Objekte.

Für einen Überblick zu den Betrachtungsweisen ist hier z. B. die aus neuerer Zeit stammende sehr umfassende, aber kompakte Zusammenstellung in der eigentlich mit Präzisionsanwendungen der Satelliten-Ortung in der Geodäsie befassten und damit weit über die Problematik bei GPS-Tracks hinausgehenden Dissertation Rost [ Rost 2011 ], Seiten 51 – 69, zu empfehlen.

Bereits etwas länger liegt die Arbeit [Hannah 2001] zurück. In mehreren Kapiteln werden für eine Vielzahl von Konstellationen der Komponenten "Satellitenposition, Geometrie der Empfängerumgebung, Reflexionseigenschaften der Hindernisse" die sich aufgrund der Interferenz von direkten und reflektierten Signalbeiträgen ergebenden zeitlichen Änderungen von Betrag und Phase (Stichworte: Fading, Doppler) sowie Verzögerung des im GPS-Empfänger eintreffenden Empfangssignals analysiert. Dabei sind auch die Besonderheiten berücksichtigt, die sich aus der bei Satellitensignalen üblichen Anwendung der zirkularen Polarisation der Funkwellen ergeben.

Zwar ist eine wirkliche rechnerische Erfassung der Einflüsse der Hindernisse in einer konkreten Empfangsumgebung kaum möglich und ohnehin nicht lohnend. Dennoch können bei der Beurteilung von Empfangs-Beeinträchtigungen ungefähre Größenvorstellungen von Nutzen sein.

Besonders wichtig sind Zahlenwerte aber für die Schaffung möglichst realitätsnaher Ausbreitungsmodelle, die dann bei der Optimierung von Modulationsarten und Auswerteverfahren neuer Anwendungen zum Einsatz kommen.

Navigations-Satelliten-Messkampagne 2002 des DLR

im Rahmen der Vorarbeiten für das GALILEO-Satelliten-Navigationssystem mit auch für viele anderweitige breitbandige Satelliten-Anwendungen relevanten Resultaten.

Nachdem im Lauf der Jahre eine für die Untersuchung von Echosignalen hinsichtlich der Intensität, der Verzögerung und der Doppler-Verschiebung geeignete, hochauflösende Messtechnik entstanden war Anm3), konnte im Jahr 2OO2 vom Institut für Kommunikation und Navigation (KN) im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Raum München eine Mehrwegekanal-Messkampagne durchgeführt werden.

Dazu wurden

der Satellit

durch einen von einem Zeppelin getragenen Spezialsender und

der GPS-Empfänger

durch einen Messempfänger nachgebildet, der in einem Messfahrzeug untergebracht war.

Mit dem Messfahrzeug wurden typische Straßen der Innenstadt und der Umgebung Münchens durchfahren. Zur Simulation einer Vielzahl wichtiger Satellitenpositionen wurde der Zeppelin durch Steuern von Richtung, Entfernung (mehrere Kilometer) und Höhe über Grund, unterstützt durch das im Zeppelin empfangene Bild einer am Boden befindlichen Kamera so bewegt, dass die jeweils gewünschte Satellitenposition auch bei der Fortbewegung des Messfahrzeugs erhalten blieb. Das spezielle Messsignal erhielt der Empfänger direkt von einer auf dem Fahrzeug montierten Antenne oder von einer von einem Fußgänger in Schrittgeschwindigkeit neben dem Fahrzeug getragenen Antenne, deren Empfangssignal über ein längeres HF-Kabel in das Messfahrzeug gelangte (siehe Figure 4 in [Lehner, Steingass 2O14]). Mit Hilfe des Empfängers wurde das dort eintreffende Messsignal digitalisiert und gespeichert.

Die nachfolgenden Auswertungen lieferten neben zeitlichen bzw. der durchfahrenen Strecke zugeordneten Verläufen z. B. der Beträge und Verzögerungen oder auch der Dopplerverschiebungen der einzelnen Mehrwegeanteile im empfangenen Messsignal insbesondere auch deren zur Modellierung des Übertragungsverhaltens benötigte Zufallsparameter. So konnten die theoretischen Resultate zur Beschaffenheit der vom Satelliten empfangenen Signale durch umfassende konkrete Messergebnisse untermauert bzw. präzisiert werden.

Anmerkungen

Anm1  Zahlenbeispiel: Ein Empfänger bewegt sich mit 1 m/sec auf einen feststehenden Sender mit einer Wellenlänge von 20 cm zu. Dann nimmt er eine um 5 Hz erhöhte Frequenz wahr.

Anm2  Beispiele für Ausnahmen:

  •    Für Funk-Antennen – hier der Empfangsantenne – und deren Wechselwirkung mit der engeren Umgebung,
    (Stichwort "Effekte im Nahfeld-Bereich") gibt es bei Licht keine technische Entsprechung.
  •    Für den Fall der Kantenbeugung von Licht wird in [Nieke 1997p] / [Nieke 1997] diskutiert, einige Widersprüche herkömmlicher theoretischer Ansätze zur quantitativen Beschreibung der Beugungsbilder gegenüber dem experimentellen Befund durch Anwendung eines quantenmechanischen Ansatzes aufzulösen.
    Wegen der gegenüber Licht viel kleineren Frequenzen (Verhältnis in der Größenordnung >105) spielen Quanteneffekte bei Funkwellen keine Rolle.

Anm3 Ausführlichere Angaben
zur Messkampagne und zu Modellen z. B. unter der DLR "SatNav Model Page",

zur Messtechnik in der nachfolgenden Tabelle.

Messprinzip Korrelationsverfahren mit
speziellem Messsignal (Multisinussignal)
Mess-Equipment RUSKDLR Channel Sounder (MEDAV GmbH) [Lehner, Steingass 2O14]
S. 2 und 3
[Raedler 2OO9], Seite 15
Messsignal Mittenfrequenz: 1510 MHz
Bandbreite: 100 MHz
Zeitliche Auflösung: 10 ns / 1 ns (mit "ESPRIT" super resolution algorithm)
Sendeleistung: 10 W
[Lehner, Steingass 2O14]
[Steingaß, Lehner 2OO4]
Messstrecke Entfernung
  Sender (im Zeppelin) – Empfänger: 1500 – 4000 m
Positionsabweichung: r < 20 m
 

Verweise

[Rost 2011] Rost, Ch.: Phasenmehrwegereduzierung basierend auf Signalqualitätsmessungen geodätischer GNSS-Empfänger, Diss. TU Dresden 2011" Deutsche Geodätische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Reihe C: Dissertationen, H. 665, München 2011 – siehe auch Web-Link (PDF)

[Hannah 2001] Hannah, Bruce M: Modelling and simulation of GPS multipath propagation. Ph.D. Thesis. Queensland University of Technology, Brisbane (Australien), 2001 – siehe auch: Hannah, B. M.; K. Kubik; R. A. Walker: Propagation Modelling of GPS Signals, Uni Stuttgart (PDF-Link)

[Nieke 1997p] Nieke, H.: Newtons Beugungsexperimente und ihre historischen und philosophischen Folgerungen. Halle (Saale), Germany : H. Nieke, 1997 – Web-Link (PDF)

[Nieke 1997] Nieke, H.: Newtons Beugungsexperimente und ihre Weiterführung – Arbeit 01 "Die Newtonschen und Fresnelschen Beugungsexperimente" (1997 / Dateidatum 2007) – Web-Link (PDF)

[Lehner, Steingass 2014] Lehner, A.; Steingaß, A.: Spatial Dynamic Wideband Modeling of the MIMO Satellite-to-Earth Channel. International Journal of Antennas and Propagation Volume 2014; Hindawi Publishing Corporation, Kairo 2014 – PDF-Download 1 (Hindawi – Creative Commons Attribution License) / PDF-Download 2 (DLR – Open access Article – Copyright © 2014 A. Lehner and A. Steingaß)

[Raedler 2009] Rädler, L.: Visualisation of Channel Measurement Data. Studienarbeit. Lehrstuhl für Medientechnik, Technische Universtität München, 2009 – Web-Link (PDF) (EISLab, Uni Passau)

[Steingaß, Lehner 2004] Steingass, A.; Lehner, A.: Measurement of the Navigation Multipath Channel – A Statistical Analysis. Proceedings. ION GNSS 2004, Long Beach, CA, USA


Klaus Dannowski – Klaus‘ GPS-Ecke
O1.12.2O11